Routinen, Gewohnheiten und *-management

Bei der Arbeit am Kapitel zu den praxistheoretischen Grundlagen für meine Analysen bin ich auf einen Punkt gestoßen, der mir im Moment noch etwas zu schaffen macht, weil er sich letzlich auch auf meine Unterscheidung der Handlungskomponenten des Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagements auswirkt.

Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass Praktiken repetitive Handlungsmuster darstellen; diese Handlungsmuster können aber unterschiedlich ‚fundiert‘ sein: Einerseits kann es sich um Wiederholungen von Handlungen handeln, denen zumindest zu Beginn bestimmte bewusste Reflexionen zugrundelagen; die Routinisierung dient dann gerade dazu, diese Reflexion nicht wieder und wieder vornehmen zu müssen, wirkt also entlastend und komplexitätsreduzierend. Andererseits kann es sich um Wiederholungen von Handlungen handeln, die nie wirklich reflektiert wurden, sondern eher einem von vorneherein unbewusst ausgeübten Tun entsprechen (bei Bourdieu wären das ‚Ergebnisse‘ des Habitus).

In diesem Zusammenhang finde ich den Gedanken von Bongaerts1 hilfreich, der zwischen Routinen und Gewohnheiten unterscheidet:

„Es lässt sich leicht festhalten, dass ‚Routine‘ offenkundig ein ursprünglich bewusst trainiertes Handeln bezeichnet, während ‚Gewohnheiten‘ ihrem Bedeutungsgehalt nach auch und gerade auf der Aneignung von Verhaltensweisen beruhen, die nicht das Bewusstsein im Sinne eines Entwurfs, Ziels oder Plans durchlaufen haben müssen, die also auch nicht die Form propositionalen Wissens annehmen müssen.“ (S. 256).

Ich habe bisher zur Kennzeichnung von Praktiken, insbesondere ihres regelhaften Charakters immer gerne den Begriff der Routine in Kombination mit Erwartungen kommunikativer Gegenüber (ob nun in Form personalisierter oder generalisierter Anderer) gebraucht. Im Begriff des (Identitäts-, Beziehungs-, Informations-)Managements klingt ja auch an, dass hier bestimmte ‚Techniken‘ angewandt werden – zwar nicht unbedingt im Sinn des immer-rational-Geplanten2 aber zumindest im Sinne des bewussten Gestaltens: Networking auf XING, das Ausfüllen eines Profils auf wer-kennt-wen, die Produktion eines Videos für YouTube, das Einfügen von [via]-Links in einem Blogeintrag wären solche Beispiele.

Was ich mich nun frage: Kann man im Id.-, Bez.- und Inf.-Management der vernetzten Öffentlichkeiten des neuen Netzes neben Routinen auch Gewohnheiten entdecken, im oben genannten Sinn von vor- oder unbewussten Verhaltensweisen? Was könnten hierfür Beispiele sein?

  1. Bongaerts, Gregor (2007): Soziale Praxis und Verhalten – Überlegungen zum Practice Turn in Social Theory. In: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 36, Nr. 4, 2007. S. 246-260. []
  2. Das ist angesichts von Handlungsketten und Folgewirkungen, die für Einzelnen rasch unüberschaubar werden, auch eine illusorische Annahme. []

Arbeit wieder aufgenommen…

Der Oktober war so dermaßen vollgepackt mit Vorträgen und Tagungen – genauer gesagt: sieben Vorträge in dreieinhalb Wochen -, dass ich nicht wirklich dazu gekommen bin, am Buch weiter zu schreiben. Aber ich habe eine ganze Reihe von Anregungen und Ideen gesammelt, die teilweise als Stichworte bereits in meinem Manuskript stehen1, teilweise noch in einem Notizbuch auf das Übertragen warten. Darunter sind, neben den bereits gebloggten Überlegungen zu Netzwerkplattformen, beispielsweise Gedanken zum produsage-Konzept von Axel Bruns oder zu den politischen und ökonomischen Auswirkungen der neuen vernetzten Öffentlichkeiten; überhaupt die (naheliegende) Überlegung, den Begriff der „vernetzten Öffentlichkeit“ als Oberbegriff für die verschiedenen Teilöffentlichkeiten zu verwenden, in denen journalistische, organisatorische und nutzerproduzierte Inhalte aufeinander Bezug nehmen und zusammenfließen.

Nach einigen Tagen der Erholung, des geistigen Sammelns und Abarbeitens verschiedener anderer Dinge bin ich heute dazu übergegangen, einen ersten Stapel der „gestapelten Erkenntnis“ durchzugehen; er liefert Material für das dritte Kapitel, in dem ich den praxistheoretischen Analyserahmen skizziere. Dieses Kapitel wird deswegen interessant, weil ich einige der Zusammenhänge schon im Weblog-Buch entwickelt habe, sie aber zum einen um weitere Gedanken aus der sozialwissenschaftlichen Praxistheorie, zum anderen um eine systematische Diskussion der drei Handlungskomponenten Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagement ergänzen möchte. Die tauchen im Weblog-Buch zwar schon auf, aber eben noch nicht sonderlich ausführlich. Und schließlich merke ich, dass insbesondere zur Rolle von Software-Code noch einiges zu schreiben ist…

  1. Was u.a. dazu führt, dass das Manuskript im Moment eine eigentümliche Mischung aus Textteilen und Erinnerungen für mich selbst darstellt… []

Beziehungsmanagement: Dating- vs. Networking

Vor, während und nach der AdHoc-Gruppe „Online-Dating“ beim DGS-Kongress habe ich darüber nachgedacht, wie man die unterschiedlichen Varianten von Netzwerkplattformen systematisieren könnte. Aus dem Bauch heraus habe ich anfangs Dating-Plattformen als Sonderfall von Netzwerkplattformen aufgefasst, schließlich legen Mitglieder dort auch Profile an und kommunizieren mit anderen Nutzern. In beiden Fällen besteht eine Herausforderung des Identitätsmanagements darin, Aspekte der eigenen Person zu verschriftlichen bzw. in das Profil einzugeben. Dies geschieht zudem in beiden Fällen vor dem Hintergrund der Leiterwartung „Authentizität“, d.h. Fakes gelten in aller Regel als abweichendes Verhalten – auch wenn es knifflig im Hinblick auf die Frage wird, wo das Idealisieren der eigenen Person auffhört und wo das Faken anfängt1.

Die Unterschiede beginnen jedoch bereits bei den Nutzungsmotiven, die individuell vorliegen und sich kollektiv zu Adäquanzregeln verdichten („wozu ist eine bestimmte Plattform besonders gut geeignet?“): Bei Netzwerkplattformen steht die Beziehungspflege im Vordergrund; das dominierende Motiv ist, den Kontakt zu Freunden und Bekannten zu halten bzw. alte Bekannte wieder zu finden. Das schließt nicht aus, dass Menschen über studiVZ oder Facebook neue Kontakte knüpfen, doch es ist nicht das dominierende Nutzungsmotiv bzw. nicht die leitende Erwartung.2. Beim Online-Dating ist es dagegen das erklärte Ziel, neue Menschen kennen zu lernen – das Kennen (lernen) ausserhalb des Internets ist hier nicht Voraussetzung, sondern Folge des Beziehungsmanagements.

Um diese unterschiedlichen Ziele zu unterstützen, ist auch der Software-Code unterschiedlich gestaltet: Unterschiede äußern sich einerseits in den Feinheiten der notwendigen Profilinformationen – vor allem aber in der Art, wie mit den geknüpften sozialen Beziehungen umgegangen wird. Für Netzwerkplattformen ist es konstitutiv3, dass die eigenen Kontakte sichtbar und navigierbar gemacht werden. Besucher meines Profils können also sehen, welche anderen Nutzer ich zu meinen Freunden/Kontakten zähle, und können deren Profilseiten anklicken. Zwar bieten Facebook oder XING die Option, die Anzeige der Freundesliste zu unterdrücken; dennoch scheint man von einem „normalen“ Profil zu erwarten, dass man das jeweilige Netzwerk sehen kann.

Für Nutzer von Dating-Plattformen wären solche Funktionen dagegen hochgradig problematisch und konfliktträchtig – Nutzer mit vielen bestätigten „Kontakten“ (potenzielle oder realisierte Dates) gerieten vermutlich rasch in den Ruf, promisk, verzweifelt oder beides zu sein; ähnliches gilt wohl, wenn erkennbar würde, dass man parallel mehrere Interaktionen pflegt. Das Beziehungsgeflecht wird deswegen für den Profilbesucher auf einer Dating-Plattform nicht sichtbar gemacht; wahrnehmbar ist einzig die kommunikative Dyade, und diese auch nur für die beteiligten Personen.

Man könnte nun entsprechende Plattformen entlang der zwei Merkmale „Vorherrschendes Nutzungsmotiv“ und „Sichtbarkeit von Ego-Netzwerken“ unterscheiden; durch einfache Kreuztabellierung komme ich auf folgende Varianten:

Der Unterscheidung von boyd/Ellison folgend wären Netzwerkplattformen dann „social network sites“, Kontaktplattformen wären „social networking sites“. Aber was könnte man als Oberbegriff für diese Anwendungen wählen? Online-Communities wird zwar derzeit oft gebraucht, umfasst m.E. aber auch Foren o.ä.. Und für das Feld „Pflege bestehender Beziehungen – Netzwerk nicht sichtbar“ fällt mir im Moment kein Beispiel ein. Gibt es da eins?

  1. Ellison/Heino/Gibbs haben sich damit in einem JCMC-Aufsatz auseinander gesetzt. []
  2. boyd/Ellison wählen deswegen auch bewusst die Bezeichnung „social NETWORK site“ und nicht „social networkING site“. []
  3. Bei boyd/Ellison z.B. ist es auch in der Definition angelegt []